Jürgen Kirschning ist 89 Jahre alt und spricht regelmäßig mit Klassen über seine Erlebnisse in Berlin zur Zeit des Nationalsozialismus.
Er ließ es sich trotz der Corona-Pandemie nicht nehmen, auch mit unseren Schüler*innen über seine Geschichte zu sprechen. Aber wie kann so ein Gespräch in Zeiten des Homeschoolings stattfinden? Herr Kirschning war von Anfang an unserer Technik gegenüber sehr offen. So probierten wir im Vorfeld gemeinsam aus, wie man unser virtuelles Klassenzimmer betritt und wie man ihn durch die Kamera am besten sehen kann.
Dem Gespräch stand nun also nichts mehr im Weg und die Schüler*innen aus drei verschiedenen Klassen waren sehr gespannt, was Herr Kirschning auf die Fragen, die sie vorbereitet hatten, antworten würde.
Am 28. Mai 2020 war es dann soweit, 22 Schüler*innen waren im virtuellen Klassenzimmer und empfingen Herrn Kirschning gemeinsam mit ihrer Lehrerin.
Sehr eindrucksvoll erzählte er, wie er Hitler bei einer Parade gesehen und die unterbewusste Angst der Bevölkerung spüren konnte, als Hitler den Platz ohne erkenntlichen Grund räumen ließ und die Menschenmenge vor den uniformierten Männern zurückwich. Er erklärte, dass die Menschen damals indoktriniert wurden und betonte, wie wichtig es sei, sich eine eigene politische Meinung zu bilden. Er forderte die Schüler*innen zum eigenen Denken und Hinterfragen auf.
Ein Schüler fragte, was Herr Kirschning von der Deportation der Juden mitbekommen habe. Unser Zeitzeuge antwortete glaubhaft, dass er davon zwar nichts bekommen habe, dass man damals Juden aber aus dem Weg ging. Er schilderte eine Begegnung mit einem Jungen, der ihm sagte, dass die Juden in Waschräumen vergast wurden. Er, damals ein kleiner Junge, fragte bei seinen Eltern nicht nach, ob das denn stimmen konnte, sondern verschwieg dieses Gespräch. Er wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass er auf diese Fragen keine ehrliche Antwort bekommen würde und er sie auch nicht hören wollte. Auch von seinen Erlebnissen in der Reichspogromnacht berichtete er. Von der Nacht selbst bekam er nur den Judenhass an den beschmierten Fenstern mit. Sehr eindrucksvoll erzählte er aber von der niedergeschlagenen Stimmung, die am nächsten Tag in Berlin zu spüren war.
Er erzählte auch von seiner Zeit in der Hitlerjugend, in der man spielerisch auf das Kämpfen vorbereitet wurde. Er selbst stand dem Regime schon als Jugendlicher kritisch gegenüber, da er eine „willensmäßige Abhängigkeit“ ablehnte.
Nach einem zweistündigen Interview betonte er zum Schluss noch einmal, wie wichtig es auch in der heutigen Zeit sei, immer wieder zu hinterfragen und zu reflektieren. Er ermunterte die Schüler*innen dazu, auch das, was er ihnen erzählt habe, kritisch zu sehen und darüber nachzudenken, was sie davon für sich annehmen könnten.
Wir alle danken Herrn Kirschning sehr für die interessante und beeindruckende Schilderung seiner Erlebnisse und auch für die Offenheit, sich auf unsere Technik einzulassen!!!
(Franziska Ullmann)