Rund 8650 km Luftlinie und sieben Stunden Zeitverschiebung, so weit entfernt von unserem Arbeitsalltag lagen unsere Arbeitsplätze für knapp drei Wochen. Drei Wochen, in denen vieles anders war.
“… you know what the funniest thing about Europe is? It’s the little differences. I mean, they got the same shit over there we got here, but it’s just there’s a little difference.” (Quentin Tarantino – Pulp Fiction)
Gleiches kann man aus europäischer Sicht über Leben und Lehren in Korea sagen.
Unverhofft kommt oft
Es begann ganz unscheinbar mit einer Anfrage des Kultusministeriums in Baden-Württemberg. Etwas von einem Austausch mit koreanischen Lehrern, die eventuell unsere Schule besuchen wollten. Ein Lehreraustausch in der Sonderpädagogik? Eher ungewöhnlich… Aber wir waren neugierig geworden. Dann waren sie da, zwei Kollegen aus der weiteren Umgebung von Seoul, die im Januar und Februar drei Wochen lang die Schloss-Schule und ihre Arbeitsfelder erkundeten.
Im Gepäck hatte der Besuch traditionelle Gewänder aus Korea, den sogenannte Hanbok, Schablonen zum Erlernen der koreanischen Zeichenschrift, sowie typische koreanische Süßigkeiten. In Ihren Unterrichtsstunden gaben Sie den Schülern aus allen Bildungsgängen Einblick in Ihre Kultur.
Außerhalb der Schule nahmen wir unsere koreanischen Gäste mit auf kulturelle Ausflüge nach Speyer, Ladenburg, Heidelberg, Maulbronn, Schwetzingen und organisierten einen Wochenendausflug nach Berlin. Ein besonderes Highlight für unsere Gäste war der Besuch auf dem Rathaus und der Empfang durch den Bürgermeister der Gemeinde Ilvesheim. Herr Metz sprach mit Ihnen über kulturelle Unterschiede und über die Gemeinde Ilvesheim und überreichte Ihnen zum Abschied ein Buch über das Ilvesheimer Adelsgeschlecht derer von Hundheim.
Am letzten Abend der koreanischen Lehrer in Ilvesheim stand ein gemeinsames Abendessen mit deutschen und koreanischen Spezialitäten, sowie ein Besuch einer Veranstaltung der Reihe „Kultur im Dunkeln“ auf dem Programm.
Ankunft in Korea
Zum Gegenbesuch stiegen wir Ende März dann unsererseits ins Flugzeug und nach zehn Stunden Flug, einigen Auftaktveranstaltungen in Seoul, zahlreichen U-Bahn-, Zug-, Bus- und Autofahrten trafen wir an den Schulen unserer koreanischen Partnerlehrer ein. Valerie besuchte die Hwagye Grundschule in Hongcheon in Begleitung der dort als Sonderpädagogin arbeitenden Partnerlehrerin Ms. Seoun, Erich die Myeongjin Schule für blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler in Chuncheon, an der seine Partnerlehrerin Ms. Song unterrichtet.
An beiden Schulen bereitete man uns einen sehr warmherzigen Empfang. Riesige Banner mit unseren Namen hingen über der Zufahrt zur Schule bzw. im Lehrerzimmer. Wir wurden überall herumgeführt und vorgestellt, so dass wir unzählige Male den koreanischen Gruß “An-nyeong-ha-se-yo” üben konnten. Man war spürbar neugierig auf uns, eine interessierte Form der Neugierde, keine Schaulust. Die Kommunikation gestaltete sich allerdings schwierig. Wir sprachen kein Koreanisch und die Koreaner nur wenig Englisch. Unsere Tandempartner mussten häufig für uns dolmetschen. Waren sie nicht anwesend, kamen wir mit Händen und Füßen und “Troll” als Sprache erstaunlich weit. Man hatte viel Geduld mit uns und im allergrößten Notfall sprang eine Handyapp als “Babelfisch” ein.
Schulleben in Korea
Unterricht und Schule unterschieden sich beträchtlich von dem, was wir von daheim gewohnt waren. Am auffälligsten war die extrem lehrerzentrierte und frontale Unterrichtsmethodik, die ganz im Gegensatz zu unserem Bemühen steht, den Schüler in den Mittelpunkt zu stellen und handlungsorientiert zu arbeiten. Auch staunten wir über die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der Stoff behandelt wurde. Der Lehrer tat Wissen kund und die Schüler rezipierten. Rückfragen oder gar Diskussionen waren selten, ebenso Formen selbst organisierten Lernens, Arbeitsblätter oder Lernzielkontrollen. Gruppenarbeit fand nur in höheren Klassen statt. Das Thema Unterrichtsgeschwindigkeit diskutierten wir immer wieder mit unseren Gastgebern. In den Gesprächen erfuhren wir, dass unsere Partnerlehrer die langsame Geschwindigkeit im deutschen Unterricht beinahe unerträglich fanden. Umgekehrt hatten wir das Gefühl, dass der Stoff in Korea “abgearbeitet”, aber nicht gesichert wurde.
Unser Unterricht war für viele Schüler zunächst einmal sehr ungewohnt: Die Sicherheit des eigenen Tisches aufgeben und in einen Stuhlkreis kommen. Im Englischunterricht Englisch sprechen. Aktiv mit in das Geschehen eingebunden werden. Reagieren müssen. Die eigene Meinung oder Wünsche äußern. An all das muss man sich erst einmal gewöhnen. Manche Schüler (und auch Kollegen) ließen sich davon begeistern, andere blieben zurückhaltend und skeptisch. Nicht jeder Unterricht gelang uns, glücklicherweise aber die Mehrzahl.
Auch die Grundhaltung der Lehrer und Schüler war eine ganz andere. Der Lehrer ist eine Autoritätsfigur und wird mit Respekt behandelt. Was er sagt, gilt. Diese Haltung scheinen die Schüler von zu Hause aus mitzubringen. Der Ton der Lehrer war stets freundlich, echte Konflikte konnten wir nicht beobachten. Es waren auch keine Ermahnungen zur Ruhe oder Ordnung notwendig. Die Schüler waren geduldig und ruhig. Umgekehrt waren auch die Lehrer deutlich entspannter, aber auch gleichgültiger. Ein Schüler schläft während des Unterrichts? Die auf dem Handy eingehenden Nachrichten werden beantwortet? Oder die Schminke muss erneuert werden? Alles kein Problem. Wer den Stoff am Vormittag nicht mitverfolgt (oder versteht), muss ihn in der Freizeit eigenständig (oder mit Nachhilfe) nacharbeiten.
Unerwartet war die vergleichsweise schlechte Ausstattung mit behinderungsspezifischen Hilfsmitteln. Unsere Annahme war, dass wir in einem derart hochtechnisierten Land wie Korea auch nur die beste Ausstattung finden würden. Das Gegenteil war der Fall. Als Notizsystem setzten die meisten blinden Schüler noch Sticheltafeln ein. Manche hatten geschlossene elektronische Braillesysteme, nutzten diese aber nur sporadisch. Schulbücher waren (qualitativ hochwertig) in Braille gedruckt, aber nicht digital verfügbar. Taktile Abbildungen, Modelle oder optimierte Darstellungen gab es so gut wie nicht. Computerarbeitsplätze gab es nur in besonderen Computerarbeitsräumen und auch nur ohne Braillezeilen, Monitore für sehbehinderte Schüler hatten keine Schwenkarme usw.. Insgesamt fühlten wir uns, was die Ausstattung betraf, wie auf einer Zeitreise 25 Jahre in die Vergangenheit.
Die Lehrerzimmer waren deutlich anders gestaltet als die unsrigen, eher wie Großraumbüros. Jeder Lehrer hatte dort seinen eigenen Arbeitsbereich, an dem er Stunden vorbereiten konnte und außerhalb der Unterrichtszeiten anzutreffen war. Anders als in Deutschland haben koreanische Lehrkräfte nämlich eine Präsenzzeit in der Schule. An manchen Schulen dürfen sie ohne Erlaubnis der Schulleitung in dieser Zeit nicht einmal das Gelände verlassen, um sich einen Snack zu kaufen. Im Lehrerzimmer ist es ruhig. Wenn sich Kollegen dort unterhalten, dann eher kurz und rücksichtsvoll leise.
Und außerhalb der Schule?
Ebenso herzlich wie die Begrüßung blieb der Kontakt zwischen den koreanischen Schülern und Lehrern zu uns während der ganzen Zeit. Wohin wir auch kamen, wurden wir mit viel Freundlichkeit, Lachen und Interesse begrüßt. Neben der Schule entstanden Freundschaften, die in Einladungen und gemeinsame Ausflüge mündeten. Korea ist ein sehr gastfreundliches Land, in dem wir uns an jedem Ort und zu jeder Tag- und Nachtzeit wohl fühlen konnten. Auch wenn die Städte leider von riesigen Appartementplattenbauten dominiert werden (die jetzt für unseren Geschmack weniger schön anzusehen waren), so bietet es einen riesigen kulturellen Fundus an Geschichte, Bräuchen, traditioneller Architektur und natürlich auch Speisen, sowie schöne Natur im Umland der Städte. Unsere Austauschpartner organisierten Wochenendausflüge an die Grenze zu Nordkorea, in die Hauptstadt, zur Küste und zu vielen weiteren tollen Orten und gewährten uns Einblicke in ihr Privatleben und ihre Familien.
Nun bleibt nur noch zu sagen…
Die Zeit in Südkorea war für uns sehr bereichernd. Wir bedanken uns bei allen, die uns diese einmalige Erfahrung ermöglicht haben: angefangen bei der UNESCO, als finanziellem Hauptsponsor, bei APCEIU als Organisator, bei den Kultusministerien von Korea und Baden-Württemberg, bei unseren Gastgebern vor Ort und ihren Schulleitungen, Kollegen und Schülern, bei unseren Familien und nicht zuletzt bei unseren Schulleitungen und Kollegen, die unseren Arbeitsausfall in der Zeit unserer Abwesenheit ausgeglichen haben.